friends with tired eyes

(1)

Es beginnt mit 1 Schneeball direkt in mein Gesicht. Nasskalt zersplittert klebt er an meiner Wange und die Wucht, mit der er angeflogen kam, bringt meinen Körper aus dem Gleichgewicht. Ich lande im Schnee, kippe und von oben wachsen angegraute Bäume in mein Sichtfeld hinein. Der Himmel belegt wie meine Stimme. Weiße Bälle ziehen kreuz und quer Bahnen.

„What?“, schallt es nach, gedämpft von der Mütze an meinen Ohren. „Oh come on!“ Im Liegen sickert langsam die Kälte durch meine Jeans, zuerst an den Pobacken. Schwere drückt mich hinab, hält mich fest, saugt an. Die Gravitation geht an diesen Tagen gegen Unendlich.

„It wasn‘t ~that~ bad“, stapft Ridgeley zu mir, seine dicken Handschuhe abwehrend hochgereckt. Es klingt mehr wie eine Frage. Er reicht mir eine Hand, ich stütze mich ab und lasse mich hochziehen. Nasser Schnee klebt an meiner Rückseite. Der Abdruck meines Körpers bleibt hinter mir zurück.

Seit letzter Nacht ist Tauwetter. Die Bäume dunkeln nach, als hätte jemand den Kontrast hochgedreht. Der Schnee, außen körnig, ist innen noch hart von den Eisnächten davor. „It hurt though“, sage ich zu Ridgeley und ziehe trotzig den Rotz hoch.

Hinter mir fliegen weiter weiße Bälle. Ich wende mich ab, klettere über den Holzzaun, klopfe den Schnee von meiner Jacke ab und folge der Forststraße. Pause, bitte. Mit jedem Schritt lässt das Stimmengewirr nach und die Stille des Waldes hüllt mich ein. Über den Wipfeln ragen weiße Berggipfel hoch und verschwinden in den Wolken.

(2)

Schon an der Seilbahnstation erschien es mir seltsam, dass wir das immer noch machen. Die Hütte buchen und dann nur für ein paar Tage, obwohl Ridgeley, George und die anderen dafür extra aus UK anfliegen. Für mich bedeutet es nur eine lange Fahrt mit dem Honda, das Gebläse so laut, dass ich von der Visage-Kassette nur noch die high-pitch-Noten höre.

(devenir gris)

Dass George überhaupt gekommen ist, hat uns überrascht. Erst hieß es, er hätte keine Zeit, aber wir wussten alle, dass Kathy der Grund war und ihre Beziehung zu Ridgeley, die im Laufe des Jahres entstanden ist. Für mich war es das erste Mal, dass ich die beiden miteinander gesehen habe. Sie wirkten recht verliebt und leichtherzig, als wir am Geländer der Station den Nachzüglern winkten. George kam doch, mit dem späten Flieger und seiner neuen Freundin Debbie. Ihr Händedruck war förmlich, sie hatte sich distanziert und etwas schüchtern hinter der weiß gerahmten Sonnenbrille versteckt, während George uns alle herzlich umarmte. Er trug die Haare diesmal länger, in der Euphorie wirbelten sie umher.

„You don‘t fear height, do you?“, wandte er sich an Debbie, als wir in die Gondel stiegen. Als hätte sie eine Wahl. Wir standen Jacke an Jacke und Erich hantierte mit seinen Skiern gefährlich Nahe an meinem Gesicht herum. Er schleppt sie jedes Mal mit und fährt dann doch nie.

„There ain‘t no other way?“, entgegnete Debbie, weniger aus Angst, wie mir schien. „Doch“, mischte sich Thomas ins Gespräch, „there is a path, but believe me, you wouldn‘t prefer that“. Vor meinen Augen wehte der Wind Schneeschichten von der Erinnerung an heißen Atem, der sich beim steilen Aufstieg um unsere Köpfe gelegt hatte. Durchnässte Boots und schweißgetränkte Thermosunterwäsche.

(3)

Die Forststraße verschwindet in der Dämmerung. Irgendwann macht sie vor der Seilbahnstation halt, wo wir gestern ausgestiegen sind. Vorfreudig zwar, aber auch müde von der Anreise und ein wenig on edge, der vielen Menschen wegen, mit denen man so viel Zeit auf engem Raum verbringen wird. Unsere Leben drücken sich wie Blasen aneinander, bis sie zusammen verschmelzen, bis wir alle eine Blase.

Hoch zum Haus bildeten Erich und ich die Nachhut, schwer atmend sahen wir der Gruppe nach. Dicke Schneeflocken hatten sich auf die Dauerwellen gelegt und sie platt gedrückt. Wir hievten unsere Sporttaschen an den Schulterpolstern und als sich das grün verbretterte Chalet zwischen den Bäumen zeigte: kurze Pause.

Ich drehe mich um. Im Halbdunkeln funkelt das Wohnzimmer aus kleinen Fenstern zu mir. Die ersten sind zurück in die Stube gegangen. Mein Kopf verschwindet beim Gedanken an die wohlige Wärme des Eckkamins im Jackenkragen. Ich sollte umkehren, was will ich alleine draußen im Schnee? Aber die anderen, sie sind so überwältigend. Ihre Geschichten kann ich nur schwer verdauen, alles liegt mir im Magen, ihre Welten sind so groß und unüberschaubar, dass ich vieles verwechsle. Ich strapaziere die Verbindung und gebe nach ehe sie reißt. Bewege mich zurück. Die Spuren von gestern sind längst vom Wetter verwischt worden.

Behutsam klettere ich über den Holzzaun und stapfe durch das Schneeballschlachtfeld, einsame Veteranin an einem späten Winternachmittag.

(4)

Es ist magisch, wie sich an den Feiertagen alles über uns legt. Das Weltgeschehen sinkt zu Boden, ein grauer Detritus. Es gelingt uns nicht, ihn aufzuwirbeln. Geht ein Gespräch ins Politische, versandet es plötzlich. Stattdessen reden wir über Kabelfernsehen und langweilen uns insgeheim.Wir dekorieren den Tannenbaum mit Deko, die nicht uns gehört.

Derweil lege ich ein paar Platten auf. Die Auswahl ist beschränkt, wie wir in den letzten Jahren festgestellt haben. Daran hat sich auch 1984 nichts geändert. Musikalisch ist das Haus in den 70ern hängen geblieben oder in den 60ern. Mit dem Zeigefinger schiebe ich die Kartons auseinander. Bonnie Tyler lächelt mir entgegen. In ihrem tiefen Ausschnitt funkelt eine Kette mit silbernen Notenschlüssel-Anhänger. Ich ziehe die Platte aus dem Papier heraus, lege sie auf, drücke Start und lasse den Arm sinken.

Die Nadel kratzt über das Vinyl, ein Räuspern, sie schiebt den angesammelten Staub in der Rille zu einem Knäuel zusammen.

Leichte Gitarrenklänge zu rauem “It’s a heartache”.

(It ain’t wise to need someone.)

Shirley ist am Tisch zugange, sie verteilt die weißen Teller, während Kim einen Arm voller Knallbonbons ablädt und Pepsie rote Servietten zu Hüten faltet. Was George ihr zuflüstert, kann ich nicht verstehen. Um seinen Hals baumelt Lametta. Debbie und Thomas klipsen Kerzen an die Äste. Mir ist nicht sonderlich nach “Got so used to loving you”, ich hebe den Nadelarm eins weiter. Streicher setzen ein, sachte gezupft und Bonnie klingt fast wie Janis Joplin, als sie “Piece of my heart” singt.

(Take another little piece of my heart now)

“I guess it’s time to start with the pudding”, wirft Michael ein. Er hat zwischenzeitlich auf der Couch Platz genommen, das Geschirrtuch um die Schulter geworfen. Der Braten schmort bereits im Backofen, die Röstaromen kriechen aus der Küche zu uns und lassen sich vom beständigen Kreisen der Platten hochwirbeln. “And I’m gonna put on potatoes”, erhebt er sich seufzend und wendet sich an Thomas, der die letzte Kerze am Baum festgemacht hat: “Wanna help?”

Ich ziehe ein grün besterntes Cover hervor, es trägt den Schriftzug “Die Hits des Jahres”, doch ich finde nirgendwo das Jahr. Diana Ross blickt mich an, Pussycat, Hot Chocolate. Ich skippe “Mississippi”, mehrstimmig, und gehe zu “Movie Star” über. Kim neigt sich zu mir, drei mit buntem Papier umwickelte Geschenkkartons in den Händen: “Nächstes Mal nehmen wir noch ein paar Kassetten mit.” Sie kichert und wandert weiter.

Das Lametta an den Bäumen funkelt wie die Schneelandschaft draußen. George spart kein bisschen, er zieht Bahn um Bahn, bis eine hinabfällt, direkt auf Kathy, die gerade kleine Holzengel ins Grün drapiert. Wer hat genau die beiden zum Baumschmücken verdonnert? George bückt sich danach und verharrt in ihrem Blick wie eine Katze im Scheinwerferlicht, bis plötzlich die Bay City Rollers einsetzen mit einem besonders aufdringlichen “Do you love me?”. Da nimmt George das Lametta und schlägt meine Richtung ein. “Could you ~just~ browse the records for something more… festive or – whatever?” Er klingt leicht gestresst, sein Lächeln ist dennoch warm, er gestikuliert. “Well, I can offer Smokie, some mixed records with Tom Jones or Tschaikowsky.” Ich reiche ihm die letzte, auf deren Cover knallrote Pferde einen Schlitten durchs Rosenbett ziehen. Er mustert sie, nickt, murmelt “Die Jahreszeiten” und ringt sich zu einem “Why not” durch. Gerade in diesem Moment kommt Erich mit einer kalt gestellten Flasche Weißwein und leeren Gläsern ins Wohnzimmer.

Ich setze die Nadel auf “Januar – Am Kamin” und entlasse das Klavier ins weihnachtliche Durcheinander. Tschaikowsky habe die „Jahreszeiten“ im Dezember 1875 begonnen, lese ich auf der Rückseite. Damals sei das Klavier fester Bestandteil in der Hausmusik gewesen.

Zum Januar ist noch ein Vers von Puschkin abgedruckt:

Ins Dämmerlich der Nacht getaucht

mein stiller, trauter Winkel;

die Flamme im Kamin vergeht,

die Kerze ist verloschen

(5)

Geträumt, dass George etwas mit Michael habe und Kathy mir die schneenassen Haare aus dem Gesicht streiche. Beim Aufwachen klebt die Bettwäsche wie ein Schleier an mir.

Das Licht der Morgendämmerung bricht spärlich durchs kleine Kammerfenster, Shirley und Pepsi atmen tief und gleichmäßig. Ich schlüpfe aus dem Bett und in meine Hasenohrenpantoffeln. Der Holzboden knarzt ein bisschen, also trete ich nur mit Zehenspitzen auf und schiebe mich durch die Türe hinaus ins schattige Treppenhaus.

Im Wohnzimmer tickt die Wanduhr leise vor sich hin, halb 7. Die Weingläser stehen noch da, die letzten Schlucke unbewegt im Tiefschlaf, über ihnen kreisen Ränder im Glas. Der Weihnachtsbaum glänzt im Dunklen kaum, das Lametta hängt wie nasser Seetang von den Ästen herab. In den Gardinen hat sich abgestandener Zigarettenrauch verfangen. (Weihnachtsgeist)

Vermutlich ist es illegal, einfach so on Christmas morning durchs Haus zu schleichen, zu einer Zeit, in der das miracle geschieht. Wir sind alle so erwachsen und wollen es doch dabei belassen, bei den Wundern von früher, als wäre uns sonst nichts geblieben.

In der Küche hängt noch der Duft von plum pudding, den ich nicht mag, weil er gefühlt nur aus Rosinen besteht. Rosinen spalten, bei uns sind es folgende zwei Lager: Ich, Shirley, Debbie, Kathy, Annegret und Michael gegen Pepsie, Ridgeley, George, Erich, Kim, Melanie und Thomas.

Im Kühlschrank kühles Weiß, die angebrochene Sektflasche dünstet ohne Korken ihr ganzes Aroma aus und gießt es über den Fleischsalat, über den jemand behelfsmäßig Frischhaltefolie zu spannen versucht hat. Ich nehme mir den halbvollen Milchkarton, schlage die Tür zu und gieße ihn in eine Tasse, die an der Spüle umgedreht zum Trocknen steht.

Die Milch schmeckt eisig und so plötzlich nach Kuh, dass mir anders wird. Ich stelle sie an den Spülbeckenrand und betrachte das Stillleben.

[nachfolgend vllt 1 Horrorelement einbauen]

Tschaikowskys Weihnachten mit einem Satz von Shukowsky:

Wollten junge Mädchen einst in die Zukunft schauen, setzten sie zur Weihnachtszeit ihren Schuh vors Haustor.(…)

im liegen

neben ihr die bettwäsche zu einem knäuel, ausgewürgt und abgezogen mit allem, was an ihr haften geblieben.

mein schreiben ist sand,

sagt sie und streckt im liegen die arme von sich,

nach jahrmillionen der erosion angespült, bis er abgegraben, zu beton verpanscht, in geometrisches gegossen, verhärtet.

*

sie hatte:

an 1 identität gebaut, die nicht kompatibel,

das durch menschen gehen wie rückenkraulen perfektioniert; sie taucht, 23, 24, hoch, 1, 2, das wasser perlt abweisend.

*

warum sie sich alles so schwer mache

nach

welchen film/welche serie heute

die häufigste frage.

sie saugt die luft zwischen den zähnen ein, die sich davor angestaut hat, ich mache gar nichts, ich bin nur und sehe zu, wie alles

*

er lehnte sich gegen die stählerne tür, seine präsenz von solchem gewicht im kosmischen netz meiner wahrnehmung, dass sich mit dem lehnen alles bog. er lehnte sich und ich spürte seine masse, das jackett vom schweiß feucht, mit dem es sich auf der bühne vollgesogen im sprühregen der aufmerksamkeit.

ich lehnte mich gegen sein lehnen und fiel hindurch.

wochenbilanz

die stories, die ich erzähle, sind keine stories,

sie sind a n s ä t z e, a n l a u f, s p r i n t, doch zum sprung fehlt die kraft

(dein anlauf ist gut, hat die sportlehrerin immer zu mir gesagt)

dann versickert mein erzählen

*

in meiner arbeit versunken

im elfenbeinturm,

der versuch, hinabzuklettern.

wir sind zu dritt im turmzimmer,

die schildkröte, die stubenfliege, ich,

alle fenster zeigen nach draußen.

ich verscharre mich im dunkeln,

werde konturlos,

die fliege zittert im gegenlicht,

die schildkröte im wasser

*

jeden tag 1 neue grenze

zu überschreiten,

reflexartig trete ich zurück

*

seit drei tagen an 170 zeilen schreiben,

den ersten zu müde,

an den zweiten kaum erinnerung,

am dritten die wand anstarren,

die sich vor mir aufgebaut

*

die stimmen im haus klingen wie unter wasser,

gedämpft, ertrunken;

distanz, durch die wände zu spüren

*

die woche stürzt über mir zusammen

wie schneebeladenes dach.

ich kaufe ein ebook über tränen

und hoffe auf antworten

Procrastination through vampirism

Diagnose motion discomfort

aber das Leben setzt den Lauf trotzdem fort, also bleibt mir nur das: Aussteigen

Wir sind Vampir, unsere Haut brennt in der Sonne, tsch, halb transparentes Pergament über meinen Schädel, meine Eingeweide haben aufgehört zu pulsieren. We don’t care.

Wir schauen Tarkovskys Stalker in schlechter Qualität auf Russisch mit deutschem Untertitel.

Jmd hat gesagt, wer keine Kinder bekommt, entziehe sich der Verantwortung. Jmd anderes: wer keine Kinder bekommt, würde nie reif genug fürs Leben werden.

Vielleicht gibt es einen Stichtag, an dem sich aus irgendeinem Grund etwas dreht?

Gefühle, die sich wie Käfer krümen, auf dem Rücken liegend. Wir schalten Gatsby mit Redford aus und treiben sommernachts tot im Pool. Die Jahre legen sich übereinander, ich lese das Sommerbuch, vor mir nur eine Wand. Morgens im Wald an den Antichristen denken, die Szene, in der sich über Nacht die Zecken am Arm verbissen. (wir sind verbissen, saugen, du bist saugnapf)

Nachts ist mir nach Rausgehen, übers Fenster steigen wir, vereinsamt, bauen innere Barrikaden, ich streiche dir Haare aus der Stirn, wir wissen nicht, was wir tun, und rasen zum Abgrund, bis ich aufschrecke.

„Früher hörte ich das Pochen“, sagst du. Jetzt nichts.

Still geworden zupfen wir an Saiten, spielen uns den Puls selbst.

Das Verstreichen der Zeit: erregend.

Schreiben

Wörter wie ein Schwarm, der meinen Kopf umkreist. Wenn ich sie erschlage, bringe ich sie zu Papier, Flecken, nichts anderes, und der Taumel der Flugbewegung ist aus ihnen gewichen.

Risotto und Rauschen

Heimkommen abends, heißt: in die Wohnung kommen, einen Luftzug hineinlassen (müssen), und sie schnell verschließen, wegsperren vor der Welt. Ein Piepsen, ich rühre im Risotto, summe, bin eine Filmfigur, im Film würde ich mich mögen, so summend, das Rauschen der Spülmaschine, Tischspülmaschine, im Rücken, aber es prallt nicht ab. Es bricht über mir, in Wellen, ein Waschgang, der mein Oben und Unten verdreht und die Küche, als fiele ich in ein (schwarzes) Loch mit dem Risotto. Vielleicht bliebe mir das erspart, als Filmfigur, wenn sich extradiegetisch Musik über das Rauschen legen würde, ohne mein Zutun. Im Film sieht man den Nachthimmel noch, auch wenn die Stadt zu hell, im Film ist alles möglich: ein Patronus-Zauber, im Wald leben, Freiheit. Es sei denn man fragt Adorno.

Im Nirgendwo

Der schönste Moment eines Tages ist sein Anbruch. Wenn der schwarze, mit Sternen gesprenkelten Nachthimmel langsam in Blau übergeht und sich am Horizont eine rosafarbene Linie bildet. Ich habe diesen Moment häufig erlebt, doch nie war ich mir seiner Schönheit so bewusst, wie an jenem Morgen nach dem Abend unserer ersten Begegnung. Ich erinnere mich genau. Meine kalten Füße sind es, die mich zum richtigen Zeitpunkt wecken. Bei Morgenanbruch sinkt die Tagestemperatur auf ihr Minimum, hab‘ ich gelesen. Und ich glaube, das ist Absicht, weil der Tag uns wecken will, damit wir diesen einen Moment spüren, der sich vor den Morgen und seine Geschäftigkeit schiebt. Dieser eine Augenblick, in dem der Motor aussetzt, ehe er beschleunigt. Und die Zeit kurz rückwärts geht.

Ich ziehe die kalten Füße näher an meinen Körper, der sich an den unbequemen Beifahrersitz schmiegt. Nehme einen tiefen Atemzug. Die Luft riecht abgestanden, ein bisschen nach Leder und Imprägnierspray, nach alten Turnschuhen und Tequila-Atem. Vermischt mit dem Grundgeruch eines Autos, bei dem sich mir als Kind immer der Magen umgedreht hatte. Ich öffne die Augen. Vor mir setzt sich verschwommen ein Mikrokosmos aus staubigem Armaturenbrett, verschmierter Windschutzscheibe und verstummtem Autoradio zusammen. Hinter der Scheibe die Motorhaube mit dem Hagelschaden im Lack, der mich an sonnenverbrannte Haut erinnert. Und dahinter das vom Tau nasse Gras, das in seiner Summe eine Wiese ergibt. Auf dem Hügel einer endlosen Sinuskurve bis zum Horizont. Dem Horizont mit dem rosa Streifen.

Du liegst auf dem Fahrersitz, hast dich hinter dem Lenkrad klein gemacht, mit dem Gesicht zu mir gewandt. Du trägst nur Socken und ich hoffe, die Kälte weckt dich bald genauso wie mich. Ich betrachte deine Gesichtszüge, deine konturlosen Augenbrauen, die Schatten unter den geschlossenen Augen. An einer Schläfe kleben noch die Reste vertrockneter Wimperntusche, die du dir müde von den Wimpern gerieben hast. Deine Haut reflektiert das Blau und das Rosa des Himmels. Nur ganz leicht.

Hinter mir das Geräusch von nackter Haut, die sich bewegt und dabei gelegentlich am Ledersitz kleben bleibt. Ich habe fast vergessen, dass noch jemand mitgekommen ist, um mit dir und mir ins Nirgendwo zu fahren und alles zu vergessen.